Ausgabe 02 - 1998berliner stadtzeitung
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Das KULE THEATER zeigt in Zusammenarbeit mit dem LOPLOP Studio drei vom Butho-Tanz inspirierte Performances: "Main Dish" von der Company MARU, "Die Akte Sydney" von Martin del Amo und "A Piece of Colours" von der Company of Colours.

An jedem Abend treten zwei Gruppen nacheinander auf. Welchen Bezug haben die einzelnen Performances zueinander?

Christian (Company of Colours): Thematisch haben die Stücke selber keinen Bezug, aber die Ausgangsbasis, überhaupt an Tanz zu gehen, auf Performance zu gucken, ist ähnlich. Und das war in dem Fall eben Butho im weitesten Sinne. Ich denke, wir sind von dieser ähnlichen Ausgangsbasis in sehr verschiedene Richtungen gegangen, weil Butho ganz klar auf einen selber, auf den eigenen Körper und Erfahrungen abgestimmt ist, auf die Gesellschaft, in der man großgeworden ist, auf Einflüsse, die man hat.

Butho ist in Japan Ende der fünfziger Jahre als Gegenbewegung zum westlichen traditionellen Tanz entstanden. Wie könnt Ihr Euch, als in einer westlichen Kultur aufgewachsene Tänzer, mit Butho identifizieren?

Ursula (Company MARU): Für mich ist die Verbindung zum Ausdruckstanz in den zwanziger Jahren spannend. In den zwanziger Jahren waren viele Japaner in Berlin und hatten bei Mary Wigman oder anderen Ausdruckstänzern Unterricht und gingen dann zurück nach Japan. Und auch die Ausdruckstänzer haben hier ja versucht, etwas Neues gegen den klassischen westlichen Tanz zu machen, was als Ausdruck von jedem persönlich kommt. Das ist für mich eigentlich eine Legitimation, daß ich nicht gucke, wo ist irgendetwas japanisch und das versuche nachzumachen, sondern auch hier gegen bestimmte Arten des Formalismus etwas Neues zu setzen.

Martin del Amo: Diese Aufbruchstimmung, die hier in den zwanziger Jahren in der Kunst stattgefunden hat, war ein sehr starker Impuls. Genauso war es in Japan Ende der fünfziger Jahre, als Butho entstanden ist. Natürlich unter anderen Vorzeichen, aber in beiden Fällen waren es Aufbruchstimmungen, so daß da Parallelen sind. Beides waren sehr radikale Antworten auf das, was gerade so passierte. Und ich finde, vor dem Hintergrund, was heute wieder passiert, ist auch wieder in der Performance und im Tanz eine radikale Antwort gefragt.

Kann man Euren Tanzstil noch Butho nennen, oder inwieweit habt Ihr Eure eigene Richtung daraus entwickelt?

Christian: Bei mir ist es so, daß ich ganz klar merke, daß die wichtigsten Einflüsse meiner Ausbildung vom Butho herkommen. Beim Butho ist es eher eine innere Art von Bewegungsfindung, daß man von Bildern ausgeht, von Athmosphären oder von Stimmungen, wo auch die Bewegung selber nicht so festgelegt ist, wie beim Ballett zum Beispiel. Diese innere Art von Bewegungsfindung ist das, was bei mir wirklich geblieben ist, und womit ich viel arbeite.

Ursula: Man stellt sich verschiedene Dinge inhaltlich vor und versucht, das in dem Moment total intensiv zu fühlen. Dardurch entsteht eine bestimmte Konzentration und eine bestimmte Art von Bewegung. Das wirkt dann natürlich individuell bei jedem Darsteller ganz anders. Was für mich eigentlich wichtig beim Butho ist, daß man nicht versucht, irgendetwas zu spielen, sondern wirklich durch diese innere Vorstellung das zu sein auf der Bühne. Der Butho-Tanz ist für mich dadurch eine Inspiration, selber Stücke zu machen, die aus dem entstehen, was mich in dem Moment berührt, oder was ich ausdrücken möchte, ohne daß ich fixiert bin auf bestimmte Formen.

Makiko (Company MARU): Als Choreographin kann man einfach dabei helfen. Ich kann zum Beispiel bei Ursula genau sehen, wo sie gerade ist, oder was sie braucht. Man muß den anderen sehr genau kennen oder beobachten, wenn man zusammenarbeitet. Hier in Europa haben die Leute eine total andere Kultur, andere Hintergründe als früher in Japan, aber trotzdem kann jeder durch Butho seine Erde finden. Für mich ist Butho keine Art zu tanzen, sondern ein Weg, eigene innere Bewegung zu finden. Butho ist nirgendwo und Butho ist überall.

Welche Ideen stehen hinter Euren neuen Performances?

Christian: Ich mache ein Projekt, wo ich insgesamt 9 Solos erarbeiten werde und als Thema für jedes Solo eine Farbe genommen habe. Ich mache diese Farbe ganz klar sichtbar und setze dann aber die Bewegung oder die Musik dagegen und gucke, wie eben eine bestimmte Bewegung innerhalb dieser Farbe reagiert. Ich versuche, auf keinen Fall eine Gesamtheit über die Farben zu zeigen, sondern eine Interpretationsmöglichkeit, die ich dann wirklich versuche auszureizen, und zu sehen, wo das alles hinführen kann. Zum Beispiel: Weiß ist Licht, und wenn man alle Lichtfarben zusammenmischt, ist das weißes Licht, quasi sind das alle Farben zusammen, und ist letztendlich doch gar keine Farbe. Und dann habe ich das versucht, auf Bewegung zu übersetzen, auf Körper. Nach dieser gleichen Betrachtungsweise wäre das dann ein Körper, der sich in alle Richtungen gleichzeitig bewegt, aber doch keine Richtung hat. Auf diese Art und Weise habe ich als eine Möglichkeit gefunden, Körper in Vibration zu bringen, zum Beispiel durch Zittern. So wird der Körper in Bewegung gehalten, ohne daß er irgendein Ziel hat.

Martin: Je stärker man sich als Choreograph oder als Tänzer auf etwas konzentriert, desto weiter öffnen sich die Möglichkeiten für den Zuschauer. Es geht nicht darum, unbedingt etwas zu vermitteln, sondern es entsteht etwas, und es geht eigentlich nur darum, was das mit dem Zuschauer macht.

Ursula: Daß dieses Stück "Main Dish", also Hauptgericht heißen soll, das hatten wir uns schon vorher überlegt, und daß es logischerweise um zwei Frauen gehen soll, aber ein genaueres Thema gab es eigentlich nicht. Makiko hat von Anfang an an unseren beiden Körpern interessiert, daß Anka relativ klein ist und ich relativ groß bin, das ist ein guter Kontrast auf der Bühne. Es ging eigentlich sehr davon aus, was wir angeboten haben als kleine Solos, was uns gerade interessiert, und Makiko hat Sachen mit uns ausprobiert, die sie interessieren. In unserem Stück gibt es Szenen, die genau festgelegt sind, aber auch welche, wo viel Raum ist, um in dem Moment zu improvisieren. Natürlich beeinflußt man sich da gegenseitig und reagiert auf den Körper von dem Anderen.

Martin: Von mir ist es kein Ziel, Gefühle darzustellen. Für mich ist es ein Körper im leeren Raum, und dann passieren Sachen mit dem Körper, und das verändert den Körper im Raum, und das verändert auch den Raum. Ich denke, daß das Alltägliche so gespiegelt wird. Wir sind ständig irgendwelchen Einflüssen, Eindrücken ausgesetzt, und ständig verändert sich unser Gefühl für den Körper, wie er im Raum oder in der Zeit steht. Der Körper weiß nicht, was mit ihm geschieht. Ich spiele auch mit diesen Brüchen zwischen Performance oder Tanz und Privatem. Völlig in einer Welt sein und dann aus dieser Welt raus und in eine andere.

Interview: Stella Luncke

Termine: 29. Januar bis 1. Februar und 5. bis 8. Februar um 20.00 Uhr im Kule Theater, Auguststraße 10, Fon: 28 39 08 60

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