Ausgabe 01 - 1998berliner stadtzeitung
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Sprache. Macht. Architektur.

"Raider heißt jetzt Twix" - ein Reader des Freien Fachs zu Stadt und Sprache

Stadt heißt jetzt Standort, Hausmeister heißt jetzt Facility Manager, Kritiker heißen jetzt Bedenkenträger, Kaufhaus heißt jetzt Shopping Mall, Privatisierung heißt jetzt Public Private Partnership, Industriegebiet heißt jetzt Gewerbepark, Lindenstraße heißt jetzt Axel-Springer-Straße, Genmanipulation heißt jetzt Biotechnologie, Preußen Devils heißen jetzt Berlin Capitals, Stadtbürger heißt jetzt Urbanit und Raider heißt jetzt Twix. Aber warum eigentlich?

Das Freie Fach, eine Gruppe von Architekturstudenten an der HdK, die sich ungefragt - unter anderem mit grotesken Aktionen wie einer Touristenbus-Entführung - in die Stadtentwicklungsdebatte einmischen, hat einen Reader zusammengestellt, der sich mit der Rolle der Sprache im Stadtdiskurs auseinandersetzt. Gerade diese Diskussion um Architektur und Stadtentwicklung wird seit einiger Zeit mit mehr oder weniger kreativen Worterfindungen überschwemmt. Einen Großteil davon kann man getrost als lächerlichen Werbemüll betrachten und als solchen höchstens ignorieren. Oft geht es auch nur darum, Firmen- und Architektennamen im Stadtbild zu verewigen, wie z.B. debis, Kollhoff oder Foster.

Bestimmtes Trendvokabular wird aber gezielt lanciert und so penetrant wiederholt, daß man nicht umhin kommt, sich mit ihm auseinanderzusetzen, wenn man mitreden will. Wer nicht weiß, was eine Global City ist, was Gentrification heißt oder was mit Themenpark gemeint ist, dürfte schon Schwierigkeiten haben, beispielsweise eine Debatte im Stadtforum zu verfolgen.

Die Wortneuschöpfungen teilen die Menschheit auf in Leute, die neue Begriffe benutzen und mitreden können, und die, die gar nicht erst wissen, wovon die Rede ist. Insofern ist Sprache auch eine Machtfrage. Wer nicht mitreden kann, kann auch nicht mitentscheiden, und die Wissenden sorgen mit immer neuen Begriffsbesetzungen und Sprachkreationen dafür, daß ihr elitärer Kreis nicht zu groß wird. Was aber hat das mit der Stadt zu tun?

Public Private Partnership

Die "öffentlich-private Partnerschaft" bezeichnet mitnichten eine Zusammenarbeit der Verwaltung mit Privaten, sondern gibt Wirtschaftsunternehmen weitreichende Möglichkeiten, lenkend in die Stadtentwicklungspolitik einzugreifen und diese unter der Prämisse der Gewinnmaximierung zu steuern. Paradebeispiel hierfür ist die private Hauptstadt-Marketing-Gesellschaft "Partner für Berlin", deren Aufgabe es ist, die Stadt zu vermarkten. Die Stadt wird wie ein Produkt behandelt, das sich verkaufen muß. Die Stadt braucht also ein Corporate Design, und zu diesem Zweck wird zur Jahrtausendwende ein "neues Berlin" erfunden, alljährlich am 3. Oktober "Deutschlands Fest" zelebriert, der Mittelstreifen der Linden geharkt oder der Mauerverlauf mit roter Farbe nachgezogen, denn man meint, daß Touristen und Investoren das gefällt. Bei dieser Verkaufsmentalität fungiert die allgegenwärtige "Nachhaltigkeit" der Stadtentwicklung nur noch als billiger Werbegag.

Gefährliche Orte

Zunächst einmal ist die Gefährlichkeit dieser Orte bloße Behauptung der Senatsinnenverwaltung. Das Sprachkonstrukt der "gefährlichen Orte" erlaubt der Polizei an Plätzen wie dem Alex oder dem Bahnhof Zoo willkürliche Personenkontrollen und Platzverweise. Dieser Praxis liegt die Broken-Windows-Theorie zugrunde, nach der jemand, der nur eine zerbrochene Fensterscheibe sieht, den unwiderstehlichen Drang verspürt, selbst weitere Fensterscheiben einzuwerfen oder Autos anzuzünden. Die Berliner Polizei folgert daraus die Notwendigkeit einer Zero-Tolerance-Politik, die mit der rücksichtslosen Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten die Kriminalitätsrate senken soll. Wer also in den Augen der Ordnungshüter einen verwahrlosten oder ordnungswidrigen Eindruck macht, wird meist wenig freundlich gebeten, den Breitscheidplatz zu verlassen. "Null Toleranz" ist an den "gefährlichen Orten" schon weitgehend Realität. Höhepunkt des Sicherheitswahns sind Bannmeilen, deren Ausdehnung sich an Handgranatenwurfweiten orientiert, und eine Hochsicherheitsarchitektur, die deutlich an mittelalterliche Trutzburgen erinnert.

Inkonsequenterweise ist die Sprache des Readers selbst teils so sophisticated, daß wieder nur die In-Crowd erreicht wird. Offenbar sollen die Begriffsbesetzer mit ihren eigenen Mitteln geschlagen werden: Wir holen uns die Begriffe zurück. Eigentlich heißt der Platz der Vereinten Nationen ja immer noch Leninplatz. So gesehen ist das dann auch wieder konsequent.

Jens Sethmann

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