Ausgabe 01 - 1998berliner stadtzeitung
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Ist es möglich, eine Rechtschreibreform durchzuführen?

Doch zunächst zu etwas ganz anderem.

Wenn ich auf dem Lande leben würde, bei Wittstock oder Templin, wäre ich längst in Oper und Fernsehturm gewesen, hätte die Weiße Flotte mich ans Bodemuseum gebracht, Friedrichstraße und Chamäleon wären nicht nur Namen für mich. Lebte ich in Karlshorst, der neue Mexikaner an der Oranienburger und das Centrum-Warenhaus nach dem großen Umbau, ich hätte es gesehen.

Ich mach mir also immer noch Gedanken über´s Auswandern. Nach Husum an die Nordseeküste beispielsweise, eine Stadt, die sich stetig in ihre eigene Rekonstruktion verwandelt, deren Einwohner so lange basteln, bis alles unter Denkmalschutz steht. Alles für den Touristen, angeblich. Doch in Wahrheit geht es darum, einen Endzustand, einen Stillstand, den Tod zu erreichen.

Und Männer, die dort bei hellichtem Tage spazierengehen, fühlen sich ertappt. Gramgebeugt der Frührentner, ´On the Highway to hell´ (mit Tempo 30) der Alkoholiker, Scham und Schande über dich, denn du bist arbeitslos. Einkaufsbeutel und Dauerwellen an den Frauen befestigt. Wenn ich auf dem Land leben würde, wären außerdem die Jugendlichen rechtsradikal bzw. bei der Bundeswehr.

Im Zentrum der Hauptstadt dagegen, unter all den Kreativen und Dynamischen, da hat vielleicht Aids eine Chance, der Faschismus kaum. - Vielleicht sollte ich ´derzeit´ dazuschreiben, damit man mir nicht dermaleinst ... Nein, doch nicht. Man muß sich auch irren können. Außerdem ist das optimistisch und eine gute Überleitung zu dem in der Überschrift angekündigten Themenkomplex: Ist es möglich, eine Rechtschreibreform durchzuführen?

Nein, so scheint es.

Die Anfänge der Rechtschreibreform sind bekannt: Uschi ist schuld.

Als Uschi gefragt wurde, welchen Text sie gern auf der Leuchtreklame ihrer Bockwurstbude hätte, und sie mit fettigen Fingern eine Seite aus dem Schulheft ihres Sohnes riß und ´Uschi´s Imbiss-Stübchen´ drauf schrieb, da konnte sie nicht ahnen, welchen Sturm der Entrüstung sie damit lostreten würde.

Denn dieses Auslassungshäkchen vor dem Genitiv -s, das war vom Duden verboten. Doch Uschi kämpfte, Uschi ließ sich nicht beirren, Uschi gewann.

Das Ergebnis der Rechtschreibreform wurde bekanntgegeben: Der Duden, 21. Aufl. (1996), Bd. 1 (Rechtschreibung), S. 25: "Gelegentlich wird ein Apostroph gesetzt, um die Grundform des Namens zu verdeutlichen. Beisp.: ´Uschi´s Imbißstübchen´." (vergl. Salbader Nr. 20)

Dann die Meinungsforschungsinstitute, die Schriftsteller und die Frühvergreisten: "´Delfin´, guck mal, wie blöd das aussieht. Laß (Nicht lass!) uns doch lieber alles so lassen, wie es immer war."

Dass es um die Demokratisierung der Sprache geht, dass das Diktat Richtig! oder Falsch! endlich aufhört, und dass du eh weiterschreiben kannst, wie du willst, wurde in einem so zaghaften Tonfall vorgebracht: Es war kaum zu hören.

Heute sind 80% der Bundesbürger gegen die Reform. ´Von Oben kommt nur Scheiße´ denken 40%, ´Jede Veränderung ist eine Verschlechterung´ weitere 40% und ´Mir doch egal´ auch 40%. Mehrfachnennungen sind möglich.

Gestorben.

Den Bewohnern eines Landes aber, in dem es nicht möglich ist, etwas so Schlichtes wie ´Vereinfachte Zugangsbedingungen zu richtigem Deutsch´ durchzusetzen, dem rufe ich zu "Stillstand ist Rückschritt" und zitiere damit Sokrates oder Seneca oder Mao Tse Tung. Und ´Bürgerliche Gesellschaft´, das geht anders. (Ich wollt´s nur mal gesagt haben.)

Hans Duschke

´Engagement auf verlorenem Posten´, das ist bei dem Hans immer so niedlich anzuschauen - meint Bov Bjerg.

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